»Noch Wach?« — von einem Mann über einen Mann

Der »ers­te gro­ße #MeToo Roman«, so heißt es über Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­res neus­ten Roman Noch Wach? Erschie­nen ist der Roman im April 2023 und somit sechs Jah­re, nach­dem der #MeToo-Skan­dal los­ge­tre­ten wur­de, und zwei, Jah­re nach­dem Juli­an Rei­chelt sich nicht mehr Chef­re­dak­teur der Bild­zei­tung nen­nen darf. Auf letz­te­ren scheint der Roman ja mas­siv anzu­spie­len, auch wenn Stuck­rad-Bar­re das vehe­ment abstrei­tet: Sein Buch sei ja »Lite­ra­tur und kein Klatsch«, wie er dem Spie­gel gegen­über klar macht. Aber wor­um geht es eigent­lich wirk­lich in dem Roman?

In Noch wach? beglei­ten wir den namen­lo­sen Ich-Erzäh­ler dabei, wie er zwi­schen Los Ange­les und Ber­lin hin- und her­reist und dabei auf ein­mal mit­ten in der Rol­le des Frau­en-Ver­ste­hers und ‑Hel­fers gefan­gen ist, was er angeb­lich über­haupt nicht zu wol­len scheint. Aus irgend­ei­nem Grund aber ver­trau­en sich die Frau­en ihm an und suchen bei ihm die erwünsch­te Ret­tung: Der Chef­re­dak­teur eines fik­ti­ven Fern­seh­sen­ders, bei dem die Frau­en arbei­ten, ist näm­lich ein chro­ni­scher Frau­en­be­läs­ti­ger. Wäh­rend­des­sen ent­frem­det sich der Ich-Erzäh­ler immer mehr von sei­nem Freund, dem der Fern­seh­sen­der gehört, für den eben jener Chef­re­dak­teur arbei­tet. ›Rein zufäl­lig‹ kommt einem dabei womög­lich Mathi­as Döpf­ner in den Sinn, der Chef von Sprin­ger, mit dem Stuck­rad-Bar­re lan­ge Zeit befreun­det war.

Das Lese­er­leb­nis des Romans kann man nur mit einem Wort beschrei­ben: anstren­gend. Ange­fan­gen bei den schein­bar will­kür­li­chen Ver­sa­li­en, die irgend­wie Sinn erge­ben, aber dann wie­der­um auch nicht, so dass man sich als Leser:in nur fra­gen kann: Bin ich zu dumm, um das jetzt zu ver­ste­hen? Das Aus­las­sen der Anfüh­rungs­zei­chen bei direk­ter Rede trägt auch nicht posi­tiv zum Lese­fluss bei. Eine bewuss­te sti­lis­ti­sche Ent­schei­dung ist es defi­ni­tiv, für mich aller­dings wenig nach­voll­zieh­bar.

Vor allem uner­träg­lich an die­sem Roman ist aber beson­ders ein Aspekt, und zwar die uner­träg­li­che Art und Wei­se, wie eini­ge der Figu­ren spre­chen. In Noch Wach? ver­sucht Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re krampf­haft, wie die Gen‑Z zu spre­chen, das ist aber vor allem, wie es im Roman jetzt hei­ßen wür­de, CRINGE! Der Autor lässt Sophia kaum einen Satz spre­chen ohne eine Unmen­ge an Angli­zis­men und wehe jedes drit­te Wort ist nicht »Alder«. Wer­ke der Pop­li­te­ra­tur bedie­nen sich nicht sel­ten einer moder­nen Aus­drucks­wei­se, um so auch jün­ge­re Leser:innen zu errei­chen. Das Gan­ze schei­tert jedoch in Noch Wach? kläg­lich und klingt wie genau das, was es ist: Lite­ra­tur eines Ü40-Jäh­ri­gen, der ver­sucht, wie ein Twen oder gar wie ein Teen­ager rüber­zu­kom­men.

»Es geht hier doch nicht um eine Män­ner­ge­schich­te. Es geht um Frau­en«, äußert der Autor dem Spie­gel gegen­über, da wäre ich mir aller­dings nicht ganz so sicher. Schließ­lich beginnt der Roman mit, genau, einer Män­ner­ge­schich­te. Der Ich-Erzäh­ler und sein Freund sind auf Tour im gro­ßen Ame­ri­ka. Wäh­rend des Lesens herrscht ein per­ma­nen­ter Zustand des War­tens auf die eigent­li­che Sto­ry. Es wird meist zu lang und oft am eigent­li­chen Punkt vor­bei gere­det, sodass die gan­ze #MeToo-The­ma­tik nur noch wie ein unnö­ti­ges Bei­werk erscheint. Selbst wenn es dann schließ­lich doch noch um die Frau­en geht, was die Ver­lags­an­kün­di­gung ja eigent­lich ver­spro­chen hat, ist und bleibt es doch letz­ten Endes nur eine Män­ner-Geschich­te: Wir beob­ach­ten einen männ­li­chen Ich-Erzäh­ler, wie er ver­sucht, den ›hilf­lo­sen‹ Frau­en zu hel­fen, denn allei­ne wür­den sie es ja nicht hin­krie­gen. So wie Bas­ket­balls dem Ich-Erzäh­ler ihr Han­dy über­reicht, um für sie auf die Nach­richt des Chefs zu ant­wor­ten, so über­rei­chen die gan­zen Frau­en im Roman ihre Pro­ble­me dem Ich-Erzäh­ler, der sie für sie lösen soll. Wer könn­te bes­ser über Frau­en-Pro­ble­me spre­chen als, was sonst, ein Mann!

Der Ich-Erzäh­ler scheint dabei jedoch über­haupt nicht zufrie­den zu sein mit sei­ner Rol­le des Frau­en-Helds. Er hat ja eigent­lich gar kei­nen Bock, das alles zu machen, son­dern fin­det sich zufäl­lig in die­ser unge­woll­ten Rol­le wie­der. Er will doch nur »dass alle sich ver­tra­gen«. Sehr bemer­kens­wert ist dabei auch, dass er, wäh­rend er »hilft«, sich fragt, ob er das »ohne jeden HINTERGEDANKEN?« tut. Die Ant­wort liegt nahe: wahr­schein­lich nicht. Sophia, um die es ja augen­schein­lich gehen soll und die im Beson­de­ren der männ­li­chen Hil­fe bedarf, ist wie alle Frau­en-Figu­ren in dem Buch ein Cha­rak­ter ohne jeg­li­chen Tief­gang. Alles, was sie kann, ist, sich auf den Ich-Erzäh­ler zu ver­las­sen, wie es sich für eine Frau gehört. Schön den Män­nern die Arbeit über­las­sen, wenn es ernst wird. All­ge­mein gilt für das Buch: Wenn eine Frau mal auf­taucht, ist sie das dum­me, nai­ve Ding, das auf den Chef rein­ge­fal­len ist und noch dazu hübsch aus­sieht. Für mehr schei­nen sie nicht zu rei­chen. Aber nicht ver­ges­sen: »Es geht hier doch nicht um eine Män­ner­ge­schich­te. Es geht um Frau­en«.

So wie sich der Ich-Erzäh­ler fragt, was er denn mit Moni­ca Lewin­sky zu tun habe, fra­ge ich mich, wer Noch Wach? als den »ers­ten gro­ßen #MeToo Roman der deut­schen Lite­ra­tur« bezeich­net hat. Die­ser Roman ist geschrie­ben von einem Mann über einen Mann – und genau so liest er sich auch. Man kann es eigent­lich kaum bes­ser sagen, als es im Buch schon heißt: »Also ALS MANN, da stör ich doch«.